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Echo der Gegenwart, 14. April 1922: Ausstellung Berliner Graphik im Reiffmuseum,  Artikel von Dr. W. A. Luz:

Mit Münchner Graphik die Museumswand zu füllen, bot Schwierigkeiten. Die kleinen Formate, der zierliche Strich und die bevorzugte Radiertechnik wirkten wohl bei Nahsicht günstig im Pultkasten, zerflossen jedoch auf der Wand. Auch dann waren für die Säle beherrschende Mitten [?] nicht zu gewinnen, wenn etwa Bildhauer und Maler, nicht etwa reine Graphiker, das Wort hatten. Berliner Graphik hängt sich wie großformatige Bilder. Angesichts der Berliner Museumswand sprechen manche verächtlich von einer Plakatisierung, andere bewundernd von einer Monumentalisierung der Graphik.
Ins Gefühl springt der völlige Mangel an Unmut. Zugunsten der Stärke scheint in Berlin die Grazie in Verruf gekommen. Bezeichnend, daß die Berliner Gebirgslandschaft den Berg, schicksalhaft umschwebt von Wolkenballen, in einen Riesenraum einstellt, wogegen der Münchner Bearbeiter des Motivs den anmutigen Tanz des Lichts und der Farbe, nichts von der gewaltigen Leiblichkeit der emporgetürmten Felsmasse wiedergibt. Bezeichnend, daß Berlin das Derbe der Regelplastik [?] reflektiert, München das wunderlich Groteske. Sicherlich gibt es Lyriker unter den Berliner Graphikern. Ausnahmen z. B. sind die eingewanderten Süddeutschen Slevogt und Meid, von welchen beiden sich jener der Heimat näher hielt. An dem unwiderleglichen Eindruck ungebändigter, manche sagen „ungebrochener“ Kraft, trägt jedoch nicht allein die überwiegende Herkunft der ausgestellten Blätter von den Künstlern des großen Tageserfolgs Schuld. Denn begreiflicher Weise konnten sich unter den Jungen bisher nur die Kraftnaturen durchsetzen, die selbstverständlich ihre Werke mit ureigener Vitalität durchtränken. Die Entdeckung der uhigeren [sic] Temperamente muß späteren Tagen überlassen bleiben. Wenn jedoch der Berliner Karl Scheffler auf einer Studienreise durch Süddeutschland notiert, - neben den Berliner Künstlern erschienen die Münchner samt und sonders wohl erzogen, - so verleiht diese Übereinstimmung der Beobachtungen der Erscheinung der Berliner Graphikausstellung im Reiffmuseum eine symptomatische Bedeutung. Aber was den Münchnern unzugänglich war, erscheint jetzt. Hier ist Stärke, Bewegung, Leidenschaft. Ein fanatischer Lebensernst herrscht. Gesenkte Stirnen, inwendig gerichtete Augen, aufeinander beißende Zähne hinter fest geschlossenen Lippen, Arme und Fäuste zum Schlagen! Der Geist dieser Bilder ist heftig. Ihre Reaktion vergleicht sich der des Natrium auf Wasser. In dieser Lebhaftigkeit sind sie jedoch Dokumente eines gewaltig gesteigerten Seins, Offenbarungen eines imponierenden menschlichen Schöpferwillens.
Als Münchner Nachzügler findet sich noch Willi Geiger mit Lovis Corinth konfrontiert. Hat jener, ein solches Ausstellungsgegenüber vorahnend, die Situation festgehalten in jenem Stierkampf, wo der Bulle mit gesenkten Hörnern den mit Tänzerschritten herankommenden Torero erwartet? Dort eine nervöse Linienführung, Atmosphäre eines Schwabinger Luxusateliers, hier nach wie vor schlichte Mentalität und doch robuste Gesinnung, wenn es auch mit der robusten Gesundheit allmählich bergab geht. Graues Haar und leidensgefurchte Züge zeigen die Selbstbildnisse an. Das Atelierskelett fordert man jetzt nicht mehr heraus. Wie auf das Machtwort des Allbeherrschers lauschend sitzt man ihm zu Füßen. Slevogt ist durch vier kostbare Radierungen vertreten. Ihre Strichlagen, leicht und licht wie Flaumfedern, erwecken Bewunderung schlechthin. Neben solcher Zartheit wirkt Corinths Stärke patzig. Slevogts große menschliche Leistung besteht in der Ueberwindung der Ruhmeskrise. Was von ihm an die Öffentlichkeit kommt, braucht sie nicht zu scheuen. Corinth an Fantasie und geistigen Gehalt überbietend bringt Jaeckel Radierungen, welche vielfach wie Vorstudien [?]  zu seiner monumentalen Bibelillustration anmuten. Das Urpaar aneinandergeschmiegt, die Urfamilie vor Felsenwänden kauernd, ein Christus am Kreuz, mit suggestiven dunkeln Augen aus dem Bilde hervorblickend, sicherlich eine der eindrucksvollsten modernen Lösungen des jahrhundertelang durch die europäische Kunstgeschichte gequälten Themas. Pechstein erscheint mit Holzschnitten und Lithographien, welche ihn als geschickten technischen Instrumentator erscheinen lassen. Bei aller Bewunderung wird man auf ein Blatt seiner samländischen Ode deuten, welches die brutale Aeußerung dieser kleinen Gruppe von Gewaltmenschen darstellt. Meidner stellt sich selber vor, den Stichel in der Hand, mit schief gestelltem Kopf ein Spiegelbild beobachtend, ein Schütze zielend mit dem Gewehr an der Backe, würde man sagen. Als lebhafter, einstellungsfähiger Mann spiegelt er sich auch in der Auffassung seiner Freunde. Gequält von unbekannten Leidenslasten neigt der schriftstellernde Malerfreund den Kopf, das Gesicht des Schauspielers sprüht von Laune und Uebermut, der Kaffeehausästhetiker legt die Spinnenfinger an die Schläfen, indem er druch [sic] scharfe Brillengläser unverschämt fixiert. Auch Beckmann stellt sich mit größter Leichtigkeit auf sein Modell um. Hier der intellektuelle Arzt, dort die sensuelle Tänzerin, große Lithographien, kreidig im Ton, aber messerscharf in der Form. Den völligen Umschwung in seiner Verwendung des Steindrucks macht der Vergleich dieser Blätter mit den schummerigen religiösen Blättern ersichtlich. Sein Selbstbildnis wandelt sich vom Grüblerischen zum Frivolen. Man weiß, daß der Umsturz der Vernunft in schauerlichen Kriegserlebnissen Beckmann zum Maler des Tanzes über dem Abgrund machten. Von Schmidt-Rottluff, dem Schöpfer des umstrittenen Wappentieres der deutschen Republik, stammt eine Anzahl wirkungssicherer Holzschnitte. In dieser Wildenschaft von Künstlern kann er als Häuptling gelten. Die Melancholie, den durch Dürers Griffel geheiligten Vorwurf der deutschen Kunst, stilisiert er vor banalem Modell zu einem klartonigen Blatt um. Charakteristisch für seine Holzschnittechnik sind die Strahlenbündel, welche von den Gegenständen ausbrechen, Suchlaternchen in der Bergwerksnacht des Plattentons. Heckel ist weder so keck noch so glücklich in seinen Neuerfindungen auf der Holztafel.  Für seine Themen ist die Gebärde der Ergriffenheit bedeutungsvoll: Menschen in einsamen Landschaften stehend und kniend in nachdenklichen Büßerhaltungen, ein prachtvoller kolorierter Kopf mit der schmerzenvollen Mimik des Johannes unter dem Kreuz. Auch tonschöne und kraftvolle Radierungen findet man von ihm. Kokoschka, der Dresdner Akademieprofessor, schickte seltene Probedrucke, Illustrationen zu seiner Dichtung „Der gefesselte Kolumbus“. Reichtum der Anschaung [sic] und zarte Geistigkeit begründen den Ruhm dieser Blätter. Frau Schneider-Kainer [?] interessiert durch hübsche Beispiele für die Einfühlungsmöglichkeit der Frau in die männliche Psyche. Meseck fesselt durch lichte Landschaften mit großen Horizonten, Kohlhoff bringt reizende Pferdchen mit buschigen Mähnen. Otto Müller tonschöne Halbakte und Stephani eindrucksvolle biblische Szenen in neuartiger Gestaltung. Scheurich, bekannt durch seine Illustrationen zum Rosenkavalier, vermittelt mit delikaten Kostümstudien zu jener Graphik hinüber, welche dem verwöhnten Auge Vergnügen bereiten will. Etwas von der Berliner Menzeltradition blieb in ihm lebendig.
Den Eingangssaal füllen die Blätter der Mappe „Graphiker der Gegenwart“, vor denen summarisch die Eindrücke der bisherigen Graphikausstellung des Reiffmuseums geprüft werden können. Um stilkritischen Zuschreibungsversuchen und Bestätigungsfreuden nicht vorzugreifen, hat die Ausstellungsleitung hier auf die Anbringung einer Bezettelung verzichtet.


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