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Echo der Gegenwart, 22. Oktober 1920: Dada. Artikel von -pg-.

„Der Sozialismus verhält sich zum Bolschewismus wie die Grippe zur Lungenentzündung: Jene macht einen krank, an dieser stirbt man“. „Der Expressionismus ist eine Marotte von Reklameanalphabeten“. „Geistige Internationale: Karl May, Walter Hasenclever und Magnus Hirschfeld.“ – Ist das absoluter Unsinn? In der Art, wie der Rheindada solche und noch elf Dutzend ähnliche oder weniger gute Mehrheiten gestern Abend mit unheilbaren Verrücktheiten durcheinander mischte, vielleicht ja. Jede für sich bezeugt aber zum mindesten ein starkes selbstständiges Beobachtungstalent. Aber ist das etwas neues? Der Rheindada, wenn die netten politischen, literarischen und gesellschaftlichen Knallerbsen sein Eigentum waren, hätte sie auch in vernünftigerer Umgebung an den Mann bringen können, als im Kreise von vier aus Rand und Band geratenen Pennälern, die sich dadurch strafbar machten, daß ihnen sozusagen jede Spur von Einfall abging. Aber die berühmte Anna Blume suchte man zu verkörpern. Einem maskierten Jüngling im Hosenrock fiel die dankbare Aufgabe zu. Er tanzte nicht schlechter als manche weibliche Tanzblume, die mehr als fünf Mark für ihre Eintrittskarten fordert, und schon dieser Umstand hätte die zuerst sehr lustigen, dann, als sie ihren Witz verausgabt hatten, stellenweise erbosten Zuhörer, die aber durchaus auch Akteure waren, davon abhalten sollen, das Geld zurück zu verlangen. Na, man hat sich schließlich auch so wieder beruhigt. Um aber auf Anna Blume zurückzukommen: an diesem Punkte des Aachener Dadaistenprogramms schien sich die Sache als das zu entlarven, was sie ist, als Schwindel. Denn Anna Blume ist unseres Wissens eine Art künstlerisches Idol der Bewegung und wird, so lächerlich ihre literarische Gestalt ist, ernst genommen. Demnach hatte man es gestern Abend im Großen Monarchen mit einem Fastnachts- oder Bierulk (ohne Bier) zu tun gehabt, nur daß wir bei solchen Gelegenheiten etwas mehr Witz gewohnt sind.
Die Besucher unterhielten sich aber auf ihre Art, köstlich durch Singen, Pfeifen, Johlen, Miauen, Bellen und was der Aeußerungen kindlichen Frohsinns [?] mehr sind. Die Veranstalter dürften eine ganz nette Einnahme gemacht haben, und schließlich ersetzte ja die Stimmung des Publikums alles, was auf den durch einen Bindfaden vom Parkett abgetrennten Brettern an Geist und Lustigkeit ausblieb.
Das Fazit? Fünf junge Leute wollten jeden, der es sich gefallen ließ, zum Narren halten. Es ist ihnen gelungen, aber nun Schluß, bitte! Wir haben ernstere Dinge zu tun, als daß wir uns in übermütiger Zeitvergeudung mit den tollen Launen sorgloser Literaten befassen könnten.

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