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Echo
der Gegenwart, 05. November 1908: Bericht von der Eröffnung
des Reiffmuseums:
Ein
neues Kunstinstitut
Mit
Beginn des Wintersemesters ist der am Templergraben gelegene Neubau der
Hochschule, der das Reiffmuseum birgt, offiziell der "Neubau der
Abteilung 1 und des Reiffmuseums", in Benutzung genommen worden. Im
allgemeinen ist über den Bau zu sagen, daß er im
Kellergeschoß Magazin-, Dienst- und Bureauräume
enthält, im Erdgeschoß das Kunstgeschichtliche
Institut (Prof. Schmid), die Baukunst der Renaissance und die
Räume des Prof. Frenzen, im ersten Stockwerk die
Architektursammlungen (Geheimräte Henrici und Schupmann), im
zweiten Stock das Reiffmuseum und die Unterrichtsräume des
Professors für Malerei (Prof. Frenz). Was das Reiffmuseum im
besonderen anbetrifft, sei zunächst aus seiner
Entstehungsgeschichte kurz folgendes in Erinnerung gebracht:
Maler Reiff war von 1835 bis 1902 Professor an der Aachener Hochschule.
Aus Liebhaberei hat er während dieser Zeit eine
beträchtliche Anzahl zum Teil sehr wertvoller Originale und
Kopien gesammelt; irrtümlich wird hier und dort behauptet,
letztere habe er selbst gemalt. Von seiner Hand stammen aber
tatsächlich nur seine eigenen Bilder, die man heute - das ist
Künstlerlos-, bereits bedeutend höher
schätzt, als zu Lebzeiten der Künstlers [sic]. Der
Wert der Sammlung wird auf mindestens 80-90.000 Mark
geschätzt; notariell war er mit 120.000 M. angesetzt. Zu den
wertvollsten Stücken gehört ein Zyklus
Original-Kaulbachkartons, den Reiff allein mit ca. 10.000 Mark bezahlt
hat. Ursprünglich hatte Professor Reiff, aus irgendwelchen
Gründen gegen Aachen verstimmt, die Absicht, seine Sammlung
nach Bonn zu vermachen; seine Kollegen gelang es jedoch, ihn
umzustimmen und zu veranlassen, die Technische Hochschule als Erben
einzusetzen. Die einzige Auflage des Erblassers war, die Sammlung in
einem besonderen Museum unterzubringen. Da nun eine
Gemäldesammlung allein als Bestandteil der Hochschule seine
rechten Sinn gehabt hätte, so verwirklichte man den Willen des
Stifters nach den Vorschlägen des Prof. Schmid in einer Form,
die auch unterrichtlichten Zwecken entsprach: man brachte die
Reiff`sche Sammlung in den Rahmen eines kunsttechnischen [?] Museums.
Die Aachener und Münchener Feuerversicherungsgesellschaft und
der Aachener Verein zur Beförderung der Arbeitsamkeit
betätigten bei dieser Gelegenheit wieder ihre
gemeinnützigen Absichten, indem sie für dem Bau je
36.000 Mark spendeten. Die Stadt Aachen ließ das
Baugelände zur Hälfte des Preises ab. Fast
wäre noch die Errichtung des Reiff-Museums an der Absicht der
Stadt, mit dem [sic] für das erstere bereitgestellten Mitteln
das Wespienhaus zu erwerben, gescheitert. Die Regierung wollte jedoch
nur dann auf die Stiftungen für das Reiff-Museum verzichten,
wenn die Stadt Aachen das Wespienhaus ganz in ihren Besitz zu bringen
sich verpflichte. Darauf wurde bekanntlich aus finanziellen Bedenken
verzichtet. So bedauerlich das gewesen sein mag, haben wir die
Verwendung der Mittel für ihren ursprünglichen Zweck,
zu dem sie übrigens völlig ausreichten, angesichts
des jetzt Geschaffenen nicht zu bedauern.
Bevor wir den Leser in das Reiff-Museum selbst führen,
möchten wir ihn einen Blick tun lassen in die
Lehrstätte des Hochschullehrers, der als Kunsthistoriker von
vornherein das größte Interesse an der Reiff`schen
Sammlung nahm und ihr auch mit kundiger und geschickter Hand das
stimmungsvolle Heim bereitete: des Professors Max Schmid. Wir finden
ihn, wie bereits eingangs erwähnt, im Erdgeschoß.
Ein hoher großer Raum links vom Aufgang [?] dient ihm als
Arbeitszimmer. Schon hier zeigen sich Geschmack, Bequemlichkeit und
Zweckmäßigkeit in praktischer Vereinigung; fast zwei
ganze Wandseiten werden eingenommen von Gestellen, in denen die
Lichtbilder, das modernste Unterrichtsmittel für die
Kunstgeschichte, untergebracht sind. An den anderen Wänden
Skizzen und Kopien nach bekannten Meistern. Eine Tür
führt ins Assistentenzimmer, zugleich Bibliotheksraum und
Durchgang zum Studiensaal oder Lesezimmer, ein einfach-vornehm
ausgestatteter, langgestreckter Saal, der den Studierenden als
Aufenthalt vor und nach den Vorlesungen willkommen sein wird. In den
Wandfächern ein reiches Studienmaterial von Photographien usw.
Neben diesem Raum liegt der Hörsaal für
Kunstgeschichte. Jeder Hörer hat sein [sic] eigene Lampe
(Orchesterlampe), deren Einrichtung es ihm gestattet, auch
während der Projektionen, ohne diese zu stören,
Aufzeichnungen zu machen oder nachzulesen. Neben dem Pult des
Vortragenden sind zwei Projektionsapparate angebracht; denen
ebensoviele verstellbare Projektionsflächen entsprechen. Die
Apparate bieten nicht allein die Möglichkeit, außer
den bekannten Lichtbildern jede beliebige Abbildung eines Buches
unmittelbar auf die Leinwand zu werfen, sondern ermöglichen
auch in ihrer Zweizahl praktische Vergleiche zwischen verwandten
Kunstwerken. Die Apparate sind so angebracht, daß der
Vortragende sie ohne fremde Hilfe bequem selbst bedienen kann.
Natürlich alles System Schmid!
Und nun ins Reiff-Museum! Das Publikum gelangt durch einen besonderen
Aufgang dorthin. Zwei Treppen hoch! Schon der Podest vor der
Eingangstür des Museums belehrt uns, daß man
besonderen Wert darauf legt, Aachener Kunst zur Anschauung zu bringen.
Ein Original-Holzgiebel aus der Pontstraße und
Abgüsse aus dem Kersten'schen [?] Pavillon ziehen das Auge des
Besuchers auf sich. Den ersten Raum des Reiff-Museums, eine Art
Vorraum, finden wir im Nebenzweck als Ehrenraum für den
Stifter und andere ehemalige Hochschullehrer gedacht. Da sehen wir
außer den besten Bildern des Stifters unter Reiffs Bildnis
das des Professors Kraus und in einer Ode [?] die charakteristische
Büste Heinzerlings. Professor Frenz hat sich bei Lebzeiten
schon durch eine von einem Düsseldorfer Gönner
gestiftete "Enthauptung des hl. Johannes" verewigt. Gleich hier sticht
der Hauptzweck des Museums in die Augen: die Technik der
Künste zur Darstellung zu bringen, das Auge und den Geist des
Besuchers vorzubereiten und zu schulen für das Schauen, die
Aufnahme und die Bewertung von Kunstwerken überhaupt. Also
eine Vorschule für den Museumsbesuch. Daran allein
läßt sich der praktische Wert des Reiff-Museums
ermessen. Professor Schmid hat eine ganze Masse von Studienmaterial
zusammengetragen, das in einzelnen Kunsttechniken eine eingehenden
Selbstunterricht durch die Anschauung ermöglichen soll. Wir
finden die graphische Kunst, die Elfenbein- und Ledertechnik, die
japanische Lacktechnik, die Technik der Metallkunst, die Emailkunst mit
ihren Materialien, Werkzeugen und in allen Phasen vom rohen Material
bis zur Vollendung leichtfaßlich dargestellt. Besondere
Anerkennung verdient die Freigebigkeit des Hofgoldschmieds, der
für die Abteilung der Edelmetalltechnik bedeutende Geschenke
gemacht hat; seine Beiträge führen u.a. die
Filigrankunst, die Niellotechnik und die Technik der verschiedenen
Emails vor. Alle diese Spezialsammlungen sind ebenso wie die Bilder
Reiffs durch die verschiedenen Räume des Museums verteilt. Die
ordnende Hand hat es wohlweislich vermieden, den belehrenden Zweck
unnötig zu betonen, vielmehr überall auf eine
harmonische Stimmung in den Räumen Bedacht genommen und das
ist ihr durchweg gut gelungen. Wir denken, da u.a. an den
Niederländersaal, der zugleich eine Anzahl trefflich
eingeordneter Aachener Stücke birgt. Ueber die Anordnung der
Säle ist folgendes mitzuteilen: an den Vorraum
schließt sich ein Ausstellungsraum für Studierende
und Hochschullehrer (enthält die Metallkünste und die
Kaulbach-Kartons), es folgen der Saal für Plastik und Malerei,
die Spezialräume für spanische, italienische und
niederländische Kunst, und nicht zu vergessen ein
Studiumkabinett für Aachener Architektur (vom Vorraum aus
erreichbar). Im letzteren sind u.a. alle Steinarten und Profile
ausgestellt, die am Münster vorkommen. Das Museum verdankt sie
dem Regierungsbaumeister Erich Schmidt, der dem Organisator des
Reiff-Museums, Professor Max Schmid, auch eine wertvolle
Stütze bei der Ausstattung der Innenräume gewesen
ist.
Von welchen Gesichtspunkten Professor Schmid sich bei der Anordnung der
Ausstellungsgegenstände hat leiten lassen, möge an 2
kleinen Beispielen illustriert werden. Im Plastiksaale finden wir den
bekannten Maisonschen Neger, einen kraftvollen Typ hochentwickelter
Wirklichkeitskunst, ihm gegenüber den schon etwas dekadenten
Akt eines niederländischen Vertreters des modernen Realismus,
und daneben vom selben Meister denselben Vorwurf in bizarrer moderner
Stilisierung. An drei Beispielen ein ganzer Abriß aus der
Geschichte des Realismus! Das zweite Beispiel! Professor Schmid will
die Wirkung der Farbenanwendung auf die Plastik demonstrieren. Sechs-
oder siebenmal sehen wir dieselbe Kinderbüste in einer Reihe
nebeneinander. In jedem Fall gibt die Bemalung bezw. [sic]
Tönung dem Kopfe einen ganz veränderten Ausdruck. Das
Original ist kaum mehr herauszuerkennen. Drastischer und
überzeugender kann man solche Wirkungen kaum veranschaulichen.
Leider bleibt das Reiff-Museum bis auf weiteres dem Publikum
verschlossen, weil es noch an den Mitteln für die Unterhaltung
und Bewachung der Räume fehlt. Vielleicht finden sich in
unserer Stadt einige hochherzige Geber, die diesem Mangel durch eine
Spende abhelfen. Dann wäre der letzte Schritt getan, um die
Veranstaltung ihrer Bestimmung zuzuführen.
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