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Echo der Gegenwart, 13. Dezember 1920, Artikel von Prof. Dr. Schmid-Burgk

Die Herbstausstellung der "Woge" im Reiffmuseum

Ohne die nachstehende Würdigung in allen Teilen zu der unserigen zu machen, glauben wir, die Ausführungen von Herrn Professor Schmid-Burgk unsern Lesern nicht vorenthalten zu sollen. Wir verweisen gleichzeitig auf die Besprechung, die wir der Ausstellung in Nr. 249 des „Echo“ widmeten. Red.
Wer die mutigen Versuche der Wogekünstler als vorübergehende Laune, als ein flüchtiges Haschen nach Neuem betrachtet hat, wird aus der neuen Ausstellung die Überzeugung gewinnen, daß ernstes, zielbewußtes Streben hier nach Ausdruck ringt. Unsere Künstler können und wollen nicht mehr zurück in die alten ausgefahrenen Gleise des Impressionismus. Sie wollen und müssen den Leidensweg antreten durch die dornigen Gassen der Mißachtung, unverstehenden Hohnes. Sie wollen und müssen sich selbst Rechenschaft geben und Lösung finden.
Es gibt Brücken, die zur neuen Kunst hinüberführen. Da sehen wir Burgers Bildnisköpfe, die so frei, frisch und stark Persönlichkeit und Charakter spiegeln und ohne Uebertreibung und Formumstellung den Menschen so recht unmittelbar zum Ausdruck bringen. Ich denke auch an die vier Prophetenfiguren. Wieviel gute alte Kunst liegt in diesen so ganz von innen heraus gereiften [?] Gestalten. Höchstes inneres Leben und doch strenge Gebundenheit der äußeren Form, trotz kleinen Formates sachliche Größe, Denkmalmäßiges. Starke Erhöhung der Wirkung durch die Dissonanz der Farben. Aus ein paar Gewandflächen wachsen hagere Glieder knapp und scharf heraus.
Starkes plastisches Empfinden gibt aber auch den Bildern Burgers immer wieder die charakteristische Note. Auf der Kreuzigung, auf dem Einzug Christi in Jerusalem, überall erscheinen jene scharf geschnittenen, plastisch geformten Charakterköpfe, auch die Form hat etwas Festes, Durchmodelliertes und die Kreuzigung wirkt kraftvoll, etwa wie ein getöntes Steinrelief.
Schwer und wuchtig sind die Gestalten, sie mahnen an die ernste feierliche Haltung deutscher frühmittelalterlicher Skulptur. Am eindrucksvollsten erscheint mir die Darstellung von Christi Einzug in Jerusalem. Im Vordergrund das Hosianna rufende Volk. Darüber thront Christi Gestalt, der mit heiliger, entsagender Gebärde, Künftiges voraussehend, kommende Schmerzen vorempfindend, sich abwendet von diesem trügerischen Volke, während blutige Wolken den Himmel begrenzen und über die Berggipfel hinstrahlen wie eine Vorahnung von Leiden und Tod. Am stärksten in seiner Einfachheit erscheint mir Nr. 18 (Verzweiflung). Wie eindrucksvoll stehen da vor uns die ernsten strengen Körper der ihres Laubes beraubten Bäume. Es ist als wenn jetzt, wo gleichsam ihre Gerüste, ihr Skelett in Erscheinung tritt, das Leben dieser Grundformen uns erst voll zum Bewußtsein kommt. In einsamer, schweigender Trauer heben sich diese Baumriesen aus Felsböden empor, während wildes, zerklüftetes Gestein in charakteristischer Gegenbewegung den Hintergrund durchzieht. Etwas trostlos Hartes, wehmütig Entsagendes klingt aus dieser ausdrucksvollen Liturgie.
Mainzer aber schwelgt in Farben, in heftigen leidenschaftlichen Tönen und nicht minder leidenschaftlichen Formen. Oft ringen beide miteinander. Oft sieht man fast den Rahmen sprengende, schimmernde, ovaleszierende Farbenflächen, die in kühnen Wendungen und stark geformten Massen in gegebenen Rahmen sich nach geheimnisvollen Gesetzen gliedern. Schwer ist in Worte zu fassen, was da an Eingliederung in den Rahmen, an Auftürmen von Raumformen, an festem konzentrischen Zusammenschließen geleistet ist. Unter den religiösen Motiven ist am frischesten und schwungvollsten Johannes auf Pathmos. Wie über ihn, der sehnsuchtsvoll und staunend emporbricht, die Sonne himmlischer Offenbarung sich ergießt, wie dieses goldene Licht über die Erde hinflammt, geheimnisvoll im tiefgrünen Seespiegel vibriert und die ganze Gestalt in warmes Licht taucht, das bringt zugleich den seelischen Gehalt, bringt den Gedanken an Erleuchtung aus der Höhe. Großartiger ist seine Kreuzigung. Selbstverständlich wird jeder hier an Grünewald denken, aber auch sich freuen, wie dieser große Anreger selbstständige Fortbildung gefunden hat.
Außerordentlich reich und vielseitig stellt Kohl diesmal aus. In seinen Bildnissen hält er sich, von einigen leisen Verschiebungen und Verstärkungen abgesehen, genau an die objektive Wirklichkeit, und nur in der dekorativen Ausgestaltung des Hintergrundes modernisiert er. Aber gerade in diesen streng beobachteten Bildnissen ist eine Fülle von Ausdruck, Eigenart, Charakter, eine kühne Interpretation der Persönlichkeit. Das große dekorative Bild „Der Botschafter von Kanan“ halte ich für eines seiner stärksten und wertvollsten Werke. Die wohlüberlegte Gliederung der Flächen in vier horizontale Schichten, denen die vier Vertikalgestalten das Gegengewicht geben, die Art, wie das Ganze wieder in gleichwertige farbige Flecken aufgestellt und damit der Teppichcharakter gewonnen ist, wie dann wieder alle Figuren eine leichte Neigung zur Mittelachse hingewinnen und wie sich Berge, Bäume, Seen, als zusammenfassende Linien darumschmiegen, wie schließlich diese ziemlich strenge Gliederung durch die dazwischen prallende Sonne gelockert und belebt wird, ist in mancher Beziehung geradezu vorbildlich. Kohl versteht überhaupt meisterhaft den Raum zu bauen und zu beleben. Ist in dem vorgenannten Bilde mehr die Fläche, so wird im Bilde Sodoms Ende das Kubische betont und der Gedanke, gegen die großen, schachtelartigen Formen des Vorder- und Mittelgrundes, das Zusammenbrechen einer Stadt, einer ganzen Welt im Hintergrunde zu kontrastieren, ist außerordentlich originell.
Sehr glücklich ist der Versuch von Mainzer und Kohl, die Motive ihrer figürlichen und landschaftlichen Werke als Lithographie festzuhalten. Hier nur auf Schwarz und Weiß gestellt, kann man gewissermaßen ihre Bilder auf ihre Grundwerte nachprüfen.
Man möchte hoffen, daß wenigstens von diesen Lithographien eine größere Anzahl [Käufer ?] findet unter denen, die vor den modernen Farben noch so etwas wie Platzangst haben.
Im Eingangssaal hat Stiwie neben ein paar sehr gut aufgebauten Landschaftsstudien sechs Bildnisse vereinigt, von denen namentlich das des Malers Kohl seine starke Begabung für das Farbige und für die großzügige Erschaffung der bewegten Figur beweißt. Das sind keine ängstlich zusammenstudierten und mühselig mit saurem Schweiß verewigten Geduldproben, sondern kräftige Talentäußerungen, flott und kühn in den Raum hineingesetzt, und schwungvoll durchgebildet.
Dem fortgeschrittenen Charakter dieser Kunst entspricht, was die Kunstgewerblerin Fräulein Käthe Dük an Kissen, Decken und anderen gestickten Putzgegenständen geboten hat. Die moderne Farbe und Form sich gerade zu diesen dekorativen Zwecken empfiehlt, wie geschickt eine Fläche damit gegliedert werden kann, welche Freiheit der stickenden Phantasie sich bietet, hat Fräulein Dük glänzend hier bewiesen. Jedes Stück atmet Persönlichkeit und Eigenart. Die kleinen aus Perlen, Wollfäden und Draht geformten Gestalten sind voller Laune und Humor, köstliche kleine Improvisationen.
Hoffen wir, daß den Künstlern aus zunehmendem Verständnis ihrer Eigenart und ihres Wollens allmählich jener Dank und jene Anerkennung erwächst, die den bequem auf dem Pfade mittelmäßiger Nachahmung Wandelnden so leicht und so reichlich geboten werden.

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