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Gegenwart, 15. April 1923
QUELLEN Echo der Gegenwart, 15. April 1923: Aachener Kunstfrühling. Die "Woge" im Reiffmuseum. Der als
ein neues Evangelium der Kunst
verkündete Expressionismus ist in seinen radikalen
Ansprüchen längst
zurückgewiesen, aber er lebt noch und mit ihm lebt jener
anmaßende Geist, der
hinter gleißenden Fassaden die seelische Oede verbirgt. Dem
Boden der
Ausdruckskunst sind inzwischen die jungen Triebe einer romantischen und
reaktionären Bewegung entsprossen. Die Anzeichen
dafür mehren sich von Tag zu
Tag, sie offenbaren sich in gleicher Weise in der Literatur wie in den
bildenden Künsten. Der Pinsel des Malers beginnt bald hier,
bald da die
erlebnismäßig bedingten und beengten
Vorwürfe der Moderne aufzugeben und zu
denen zurückzukehren, die der Phantasie weitesten Spielraum
lassen. Der Künstler
besinnt sich wieder darauf, daß es doch einen eigenen Reiz
hat, sein Ich und
nur sein Ich in den Vordergrund zu stellen und das Weltbild als einen
winzigen
Reflex der eigenen Seele zu betrachten. Auf der Bühne werden
allmählich aus den
unförmigen Kuben,
die
den
Raum der Handlung für ein paar Spielzeiten
darstellten, lustig verschlungen [sic], pittoreske Arabesken, deren
Gewirr die
seltsam verschlungenen Wege des Schicksals und unseres seelischen
Anteils an
ihm versinnbildet. Und sobald derartige Symbole wieder auftauchen, ist
die
Möglichkeit schon gegeben, daß aus der leicht
gefälligen, weitschweifigen und
grenzenlosen Phantasie ein Sieg des Formalen resultiert. Hinter der
scheinbaren
Ungebundenheit künstlerischer Vorstellungskraft schlummert der
Wille zum Abrücken
von den Dingen der realen Welt, fast eine Lebensfremdheit, die zu ihrer
Darstellung stets die starren Formen bevorzugt, vielleicht sogar ihrer
bedarf.
Wenn aber die Kunst für eine aus [?] der Not zur Gemeinschaft
aufwachsende Zeit
mehr bedeuten soll als die unbelehrbare
Abseitigkeit
und Verworrenheit der Phantasten, dann muß von unseren
Künstlern eine neue
Gläubigeit gefordert werden. Nur dann wird die lebende
Generation zu jenem
Ideal aufsteigen, daß sich allen wirklich
schöpferischen Menschen rein
enthüllt: zum Wesentlichen. Solange das Ziel des so
vorgezeichneten Weges nicht
erreicht wurde, muß man sagen, daß der
Expressionismus bisher mehr an Kritik
als an künstlerischen Werten geleistet, mehr zerstört
als aufgebaut hat, und
daß das Gesamtbild vorerst noch Chaos ist, zum Teil eine
phrasenhafte lyrische
Selbstbewegung der Seele, eine ekstatische
Phapsodie;
zugegeben soll werden, daß er, der zwar eine ausgesprochene
Zeiterscheinung und
gegen die materialistische Weltanschauung, der demokratisch,
kriegsfeindlich,
pazifistisch, antibürgerlich gerichtet ist, Keime einer neuen
Entwicklung
gezeitigt, vielleicht einen neuen Idealismus gebracht, das Streben nach
Vergeistigung, nach einer neuen Innerlichkeit und
Religiösität befruchtet hat.
Darin mögen seine Fortschritte liegen, nicht in der
künstlerischen Leistung.
Was aber kommen wird und kommen muß, ist die große
Synthese aller Strömungen,
nicht in demokratischen, sondern in aristokratischen Geistern. Die
derzeitige Ausstellung der
Künstlervereinigung „Woge“ im Reiffmuseum
trägt zu dem Eindruck bei, daß die
Konjunktur der streitbaren Richtungen, deren Geste der Angriff, deren
Sprache
die Fanfare war, vorüber ist. Auch in diesem Kreis werden
Führer vom Strom der
Mitläufer begleitet. Es ist überall dasselbe Bild:
das momentane Kunstschaffen
befindet sich in einem Zustand der Stagnation. Der Kunst fehlt heute
die
ungeheure Impulsivität und frische Ursprünglichkeit
der letzten Vorkriegsjahre,
die einen prägnanten Ausdruck in der Kölner
Sonderbundausstellung glorreichen
Andenkens fanden. So muß man zufrieden sein, wenn einem in
der Schar
einheimischer Maler einige starke Begabungen begegnen, bei denen die
Demut des
Könnens der Eitelkeit des Wollens entgegentritt, bei denen
infolgedessen eine
auf Harmonie zustrebende Balanze zwischen Geist und Natur gewonnen
wird, ein
Ausgleich, worauf letzten Endes alle Kunst gegründet ist. Neue
Kräfte sind in
der „Woge“ kaum wirksam, dafür aber alte
und bekannte tiefer und beseelter
geworden, leider auch einige zu Manier und Routine abgeglitten.
Ehrliches
Wollen und oft fast virtuoses Können zeichnet die Bilder von
Kohl und Mainzer aus. Kohls
„Pierrot“ ist aus einer
romantischen Weltverachtung geschaffen. Mainzer hat in einzelnen
Stücken, vor
allem in dem fesselnden Münsterbild, die absolute
Farbenmalerei zu höchster
Eindringlichkeit gesteigert.
Hartig stellt eine
flüchtige Erscheinung dar, fast als ob er das Leben nicht
ernst nimmt, weil es
dann banal wird. Bei Schneiders wirkt die Linie starr, fast monumental,
aber
das Ganze atmet in harten Zügen.
Ebertz,
Seebald
und
Davringhausen dürfen einen
Achtungserfolg verzeichnen. Es
ist
wenig Strandgut, was die „Woge“ diesmal
an Land trägt. Ausstellungen sollen nicht nur
zeitliche,
sondern künstlerische Angelegenheiten sein.
Von dem
Ernst und Ehrgeiz unserer jungen Aachener
Maler
darf erwartet werden, daß sie, dem Aufwärtstrieb der
Kunst gehorchend, die hohe
See gewinnen und vielleicht einmal den Hafen der Vollendung erreichen
wollen. |
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